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9.11.2000
62. Jahrestag der Reichspogromnacht
auf der Veranstaltung in Kaiserslautern: "Damals glaubten wir, dass dies der Höhepunkt der Judenverfolgung sei. In Wahrheit war es das letzte Alarmsignal vor der Vernichtung.", schrieb ein Opfer wenige Jahre nach den Ereignissen, die 62 Jahre vergangen sind. 9. November 1938, nachts in Deutschland: In Hunderten von Städten und Orten brennen Gotteshäuser, werden Wohnungen und Geschäfte verwüstet und geplündert, werden fast hundert Bürger ermordet, Zehntausende verhaftet und später in Konzentrationslager verschleppt. Beim Wüten der SA- und SS-Männer schauen Feuerwehren und Polizisten und Bürger zu und lassen geschehen: denn es sind jüdische Gotteshäuser, es sind Wohnungen und Geschäfte von Juden, und Juden sind es die erschlagen werden. Vor nunmehr 62 Jahren fand diese staatlich organisierte Brand und Mordnacht statt. Wir kennen heute die grausame Bilanz dieser Nacht, wir wissen aber auch, was ihr vorausging: Jahrzehntelang geschürter Antisemitismus und seit dem Machtantritt der Nazis systematische Ausgrenzung, Entrechtung und Verfolgung der deutschen Juden. Und wir wissen heute auch, was dieser Nacht folgte: der Raub an jüdischem Vermögen durch den Nazi Staat und durch sogenannte "arische" Banken, Versicherungen und Firmen, das Zusammenpferchen der Juden in Ghettos, schließlich Deportationen und millionenefache Vernichtung in Konzentrationslagern. Vor 62 Jahren hatte der antisemitische Terror im Nazideutschland einen seiner grausamen Höhepunkte. Der Vorwand: ein Attentat in Paris. Am 7. November 1938 wird ein deutscher Diplomat, der Legationssekretär Ernst von Rath, in Paris von dem 17jährigen Juden Herschel Grynszpan angeschossen, der ihn mit dem deutschen Botschafter verwechselt hatte; zwei Tage später stirbt er an den Folgen des Anschlages. Dieses Attentat wird von den Nazis benutzt, um die sogenannte "Kristallnacht" zu rechtfertigen: jüdische Geschäfte werden demoliert, Synagogen in Brand gesteckt, Juden verhaftet, gefoltert und ermordet. Wer kennt Herschel Grynszpan, einen Emigranten, seit 1936 in Paris? Wer weiß, dass seine Eltern vor antisemitischen Ausschreitungen in Polen nach Deutschland ausgewichen waren, wo sie seit 1911 in Hannover lebten? In welchem Geschichtsbuch wird die Pogromnacht schon in Zusammenhang gebracht mit der vorhergegangenen Verschleppung von rund 17.000 ehemals polnischen Juden? Sie wurden von den Nazis am 29.10.1938, von einem Tag auf den anderen, zwangsweise über die Grenze in das nichtaufnahmewillige Polen abgeschoben, darunter Herschels Eltern. Dieses Unrecht der Deportation löste das Attentat aus. Diese Nacht wurde propagandistische ebenso planmäßig vorbereitet, wie man später direkt oder indirekt bestrebt war, die Ausrottung der Juden agitatorisch zu rechtfertigen. Schon einige Tage vor dem Attentat in Paris wurden in deutschen Konzentrationslagern Baracken und Notunterkünfte für die zu erwartenden Opfer der Massenverhaftungen errichtet. Hans Gasparitsch, Häftling im KZ Dachau, berichtet, dass im KZ Dachau schon mehrere Tage vor dem 9. November Baracken geräumt wurden und ein Stacheldrahtzaun entlang der Lagerstrasse gezogen wurde, der das KZ in zwei Hälften teilte. Er erlebte die Einlieferung der jüdischen Mitbürger. Insgesamt wurden etwa 30.000 Juden in der Reichspogromnacht und danach verhaftet. Außer in das KZ Dachau wurden sie in den folgenden Tagen in die KZ's Buchenwald und Sachsenhausen verschleppt. In derselben Nacht und am Tag danach wurden etwa 100 Menschen während der Ausschreitungen ermordet, erschlagen, erstochen, erschossen. Die Mörder gingen weitgehend straffrei aus, nur in wenigen Fällen wegen "Disziplinlosigkeit" verurteilt. In einigen Fällen, in denen während der Exzesse jüdische Mädchen und Frauen vergewaltigt wurden, kommt es zu geringfügigen Strafen wegen sogenannter "Rassenschande". Verbunden mit diesen Zerstörungen und der massenhaften Verfolgung war der Raub jüdischen Vermögen, besser bekannt unter dem Stichwort "Arisierung". Dabei bereicherten sich "arische" Geschäftsleute und Banken, Versicherungen und der faschistische Staat am Eigentum der deutschen Juden. Große und kleine Unternehmer ließen sich die noch in jüdischem Besitz befindlichen Eigentumsanteile von Fabriken und Geschäften für einen lächerlichen Betrag, der darüber hinaus noch in die Staatskasse floss, übertragen. Die Banken übernahmen lautlos jüdische Vermögenswerte, soweit sie nicht an den Staat abgetreten werden mußten. Versicherungen verweigerten die Auszahlung von Ansprüchen aus Versicherungsverträgen. Darüber hinaus wurden die deutschen Juden zur Zahlung einer sogenannten "Wiedergutmachung" in Höhe von insgesamt 1,25 Milliarden Goldmark verpflichtet. Die staatliche Aneignung jüdischen Eigentums in der "Arisierung" diente direkt der Kriegsfinanzierung. Die Reichspogromnacht war bisheriger Höhepunkt der menschenverachtenden Politik der Nazis. Sie wurde der Ausgangspunkt für die menschenvernichtenden Politik der Nazis. Heinrich Mann schrieb dazu: "Zum erstenmal erkennen alle, welchen Höllenpfuhl dieses Regime aus der zivilisierten Menschheit machen würde, wenn es sie mit ihrer Weltanschauung weiter verpestet." Der Völkermord an den Juden gehörte in den Gesamtrahmen der nazistischen Weltherrschaftpolitik, ebenso wie der Völkermord an den Sinti und Roma und der Vernichtungskrieg gegen die zu "Untermenschen" gestempelten Polen, Russen, Ukrainer, Juguslawen und, und, und.... Aber Theorie und Praxis des "Herrenmenschentums" richtete sich auch gegen Deutsche, gegen "Lebensuntüchtige", wie das furchtbare Wort für die Opfer der NS-Euthanasie hieß, die hinter den Mauern von Hadamar und anderen Anstalten wie z.B. Grafeneck zu Zehntausenden ermordet wurden. Wie konnte es soweit kommen, dass das Deutsche Volk ein solches Ausmaß staatlicher Willkür und sanktionierten Verbrechens schweigend hinnahm? Dies war u.a. nur möglich geworden, weil die Nazis mit Einverständnis ihrer konservativen und reaktionären Steigbügelhalter als erstes die Gewerkschaften, Parteien und sonstige Organisationen der deutschen Arbeiterbewegung zerschlagen, deren Kader zu Tausenden ermordete, zu Zehntausenden in die Konzentrationslager verschleppt, die Reste in die Illegalität oder ins Exil getrieben hatte. Die Juden wurden zusammen mit Christen, Kommunisten, Liberalen, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern, zusammen mit den Sinti und Roma und anderen Gruppen aus der sogenannten Volksgemeinschaft ausgegrentzt und zu Volksfeinden erklärt. Mit der totalen Gleichschaltung des Staatsapparates wie den gesamten öffentlichen Lebens hatten die Nazis die völlige Unterwerfung des bürgerlichen Lagers durchgeführt, von da an herrschte weithin Friedhofsruhe im Land. Die Kriegsvorbereitungen konnten beginnen, und zugleich durften sich nun viele Unternehmer wie bereits gesagt schamlos bereichern bei der - "Arisierung" genannten - Enteignung der Juden. Die Reichspogromnacht war alsdann die Generalprobe für das weitere gewaltsame Vorgehen der Nazis. Sie lieferte ihnen den Beweis, dass ihrer Willkür und Brutalität keine Grenzen mehr gesetzt waren; dass die Menschen an Gewalt und Terror gewöhnt werden konnten; dass nun mit dem Angriffskrieg zur Unterjochung aller Nachbarvölker begonnen werden konnte; dass der Weg frei war, der dann nach Auschwitz und zu millionenfachem Massenmord führte. Erst brannten die Synagogen, dann brannten Menschen, dann brannte Europa. Doch zurück zum 9./10. November 1938 und nach Kaiserslautern. Leider ist die Pogromnacht an Kaiserslautern nicht vorbeigegangen. Auch in unserer Stadt wurden Geschäfte geplündert, Wohnungen zerstört und jüdische BürgerInnen gedemütigt und gequält.
Auch aus Kaiserslautern mußten BürgerInnen den Weg antreten den Millionen Juden gehen mußten. In die Folterkammern der Gefängnisse, in die Hölle der faschistischen Konzentrationslager. In den frühen Morgenstunden des 10. November begannen SA-Männer aus Kaiserslautern und der Umgebung in der Hauptstraße mit der Zerstörung von jüdischen Geschäften. Fensterscheiben wurden eingeschlagen, Parolen an die Wände gemalt, Inneneinrichtungen und Waren zerstört und auf die Straße geworfen. Nach einiger Zeit gesellten sich zu diesen Gruppen Einwohner, die bei dem Zerstörungswerk mithalfen. Die Aktionen beschränkten sich nicht auf die Innenstadt, auch in den Randbezirken wurden Wohnungen, Praxisräume und Geschäfte gestürmt, die Inneneinrichtungen zertrümmert, Geschirr, Bücher, Musikinstrumente und Betten wurden zerschlagen oder auf die Straße geworfen. In der Eisenbahnstrasse, Ecke Karl-Marx-Straße, wurde die Wohnung einer jüdischen Familie zerstört, die Wohnungseinrichtung auf die Straße geworfen, darunter ein Flügel, ein Kinderbettchen, ein Babykorb. Eine Mutter mit ihren kleinen Kindern hielt sich noch zwei Tage nach der Pogromnacht im Keller des Hauses verängstigt versteckt. Das Haus wurde von zwei SA-Männern bewacht und niemand wagte es ihr zu helfen. In der Ottostrasse befand sich die Wohnung des Kaufmanns Franz Wertheimer und die Wohnung der Familie Karl Wertheimer. Am Abend des 10. November 1938 wurde das Mobiliar der Familie Karl Wertheimer von den Nazis aus dem Fenster geworfen und die Wohnungseinrichtung von Franz Wertheimer fast völlig zerstört. Insgesamt wurden an diesem Tag in Kaiserslautern von den 11 noch vorhandenen jüdischen Geschäften 10 vollständig zerstört und von den rund 160 jüdischen Wohnungen etwa 110 zum Teil völlig, zum Teil erheblich zerstört. Die NSDAP Kreisleitung bezifferte den Gesamtschaden damals nach eigenen Angaben auf über 1 Millionen Reichsmark. Alle jüdischen Männer, die transportfähig schienen, wurden bis auf wenige Ausnahmen verhaftet. Viele wurden dabei misshandelt und in einer entwürdigenden Aufmachung durch die Stadt zur Polizeidirektion in der Logenstrasse geführt. Dr. Julius Wertheimer, ein bekannter Arzt, wurde so brutal zusammengeschlagen, dass er Selbstmord beging, um weiteren Mißhandlungen zu entgehen. Die jüdischen Schüler wurden am Vormittag des 10. November 1938 aus der Schule gejagt. Die meisten Frauen und Kinder mussten die Pfalz verlassen und durften erst allmählich wieder zurückkehren, unter der Auflage ihre Auswanderung zu betreiben. Etwa 50 Männer wurden am späten Nachmittag des 10 November durch eine johlende Menge zum Rot-Kreuz-Gebäude in der Augustastraße gehetzt. Dort mußten sie übernachten, wurden am nächsten Morgen nach Ludwigshafen gefahren, in einen Zug verladen und in das KZ Dachau eingeliefert. Dr. Robert Tuteur beging dort am 1.12.1938 Selbstmord. Ich möchte im Nachfolgenden einige Augenzeugen zu Wort kommen lassen, die über die Ereignisse in Kaiserslautern berichten. So berichtete eine Frau, die damals zu Schule ging: "Ich bin in der Gegend der Steinstraße groß geworden. Dort wohnten viele Juden. Ich nenne zum Beispiel die Häutehandlung Straß in der Steinstraße 46 neben dem heutigen Theodor-Zink-Museum. In der Nacht auf den 10. November haben wir noch nichts gehört, erst am Morgen ging es los. Als ich zur Schule ging, die Steinstraße hinunter zur Maxschule, konnte man schon die ersten eingeschlagenen Fensterscheiben sehen. In der Schule haben wir schulfrei bekommen. Welche Begründung der Lehrer nannte, weiß ich nicht mehr. Dann sind wir halt 'geschweift'. Für uns Kinder war das ganze eine Sensation. Ich muß durch viele Straßen der Stadt gekommen sein. Auf dem Heimweg habe ich zwei alte jüdische Leute gesehen. Sie hatten ein kleines Schuhgeschäft in der Salzstraße, waren etwa 60 Jahre alt. Die beiden Alten saßen in ihren Trümmern auf der Straße, sie hielten sich an der Hand und weinten vor sich hin..." "Am Abend dieses schrecklichen Tages", so erinnert sich der damalige Rabbiner Dr. Sally Baron, "an dem in Kaiserslautern alle männlichen jüdischen Personen zwischen 16 und 65 Jahren in das Konzentrationslager zu Dachau überführt wurden, kamen um 7 Uhr Abgesandte der Partei in alle jüdischen Häuser und erklärten, dass die gesamte jüdische Bevölkerung der Stadt bis Mitternacht die Pfalz zu verlassen habe. Mit Handgepäck und Rucksäcken mußten sie unter Gejohle des Pöbels, der auf den Straßen Spalier stand und sie verspottete, zur Bahn ziehen, denn Fuhrwerke zu benutzen war ihnen verboten, und auch sonst wagte niemand von der Bevölkerung ihnen irgendwie behilflich zu sein." Die Pfälzische Presse meldete am folgenden Tag unter der Überschrift "Kaiserslautern wird von Juden gesäubert": "Sie werden das Gaugebiet verlassen müssen. Wie das geschieht, ist gleichgültig; nur raus mit ihnen, damit Kaiserslautern und die Pfalz und schließlich Deutschland endlich frei von Juden wird." Erich Herze, 1914 in Kaiserslautern geboren, erinnert sich: Seine Eltern, der Handelsvertreter Hugo Herze und dessen Frau Johanna, geborene Jakob, lebten in der Rudolf-Breitscheid-Straße. Sie flüchteten in der Nacht nach Landau. Als sie wieder in ihrer Kaiserslauterer Wohnung zurückkehrten, war fast ihre gesamte Habe zerschlagen und geplündert. Gerade noch ein Bett und einen Schrank fanden sie unversehrt vor. Erich Herze arbeitete zu jener Zeit zwecks Umschulung zur Vorbereitung seiner geplanten Emigration nach Palästina bei einem Gärtner in Heilbronn. In der Reichspogromnacht nahmen SS-Männer Erich Herze fest und brachten ihn ins Heilbronner Gefängnis. Am nächsten Tag wurde er per Bus in das Konzentrationslager Dachau gebracht, wo er seinen Bruder Jakob traf. Im Januar 1939 konnte Erich Herze nach Kaiserslautern zurückkehren. Vier Wochen lebte er bei seinen Eltern in der Klosterstraße 21, dem jüdischen Ghetto, dann konnte er nach Schweden emigrieren. Seine Eltern hat er nie wieder gesehen. Sie kamen im Oktober 1940 mit 46 weiteren Juden aus Kaiserslautern, unter ihnen mehrere Angehörige der Familie Herze, in das Internierungslager Gurs, wo es ihnen in Anbetracht der katastrophalen hygienischen Verhältnisse schlecht erging und sie schwer erkrankten. Auch nach der Verlegung ins Lager Noé besserte sich die Ärztliche Versorgung nicht wesentlich. Innerhalb von nur vier Wochen starben beide im Februar und März 1943. Aufgrund der Ereignisse ist der 9. November zuerst ein Tag des Gedenkens an die Opfer. Als Organisation ehemaliger Naziverfolgter und junger Antifaschistinnen und Antifaschisten wollen wir aber auch dazu beitragen, dass die Erinnerung an dieses Datum immer wieder auch als Mahnung für heute dient. Erinnerung tut not. Weil Antisemitismus auch 62 Jahre nach der Pogromnacht Teil des Alltags der Bundesrepublik ist. Brandanschläge auf Synagogen, umgestürzte jüdische Grabsteine, Hakenkreuze auf Mauern jüdischer Friedhöfe, Brief- und Telefonterror gegen Juden: Woche für Woche zeigt sich, dass der Antisemitismus nach wie vor Kernelement von Naziideologie ist. Dabei sollt euch nicht vergessen werden, dass seit Jahrzehnten Hetze gegen Juden öffentlich geduldet wird: Woche für Woche verbreitet etwa die "Nationalzeitung" des Chefs der Deutschen Volksunion Frey ihre Schlagzeilen - meist getarnt durch Frageform. Erinnerung tut not. Weil Menschen, die anders aussehen, anders reden oder nicht in das Bild des deutschen Leitmenschen passen, in der Bundesrepublik tagtäglich um Leben und Gesundheit fürchten müssen. Weit über hundert Menschen fielen allein in den letzten 10 Jahren dem faschistischen Terror in Deutschland zum Opfer. Eine Blutspur, die vor 1933 anfing und sich fortsetzt bis in die heutigen Tage. Der Tag, an dem vor 62 Jahren in Deutschland die Synagogen brannten, muss einen Sinn erhalten, der über die Besinnung und Trauer hinausgeht. Die Umsetzung der Empörung in konkretes Handeln ist notwendig, damit nie wieder Rassismus und Völkerhetze die Menschen bedrohen. Deshalb fordern wir u.a. eine entschiedene Bekämpfung des neofaschistischen Terrors und aller faschistischen Umtriebe. Zum Aufstand der Anständigen gehört auch der Anstand der Zuständigen. Viele Jahre lang hat die offizielle Politik und andere staatliche Bereiche neofaschistische Politik und neofaschistische Organisationen verharmlost. Über die Deutsche Volksunion, sogenannte Republikaner und die Neue Rechte mit ihren zahlreichen Verbindungen in das konservative Lager hinein, in Burschenschaften, Vertriebenenverbände und militaristische Traditionsverbände der Wehrmacht wird nach wie vor kaum gesprochen. Aufgeregt wurde in den vergangenen Wochen bis heute darüber diskutiert, was gegen Rechtextremismus zu unternehmen sei. Neben dem Ruf nach staatlichen Maßnahmen werden von Politikerinnen und Politikern immer wieder Bürgerengagement und Zivilcourage eingefordert. Wir begrüßen diese Appelle. Es darf aber nicht übersehen werden, dass sich bereits zahlreiche Initiativen, Gruppen und Organisationen - oft schon seit jahren - nahezu täglich gegen Neofaschismus und Rassismus engegieren. Sie treten an zahlreichen Orten gegen Neonazis auf. Sie sind Mitiniatoren vieler Aktivitäten, Kundgebungen und Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. In Schulen, Jugendgruppen, Vereinen und Verbänden klären engagierte Bürgerinnen und Bürger - unter ihnen Überlebende des Naziterrors - über die Geschichte und die Gefahren des Neofaschismus auf. Bislang wurden sie dabei von der offiziellen Politik häufig als störend empfunden, beiseite geschoben, oft sogar diffamiert und mit dem Stempel "verfassungsfeindlich" versehen. Damit muß Schluß sein!
"Der eigentliche Gegner ist nicht der Asylant, der Zigeuner, der Wirtschafts- oder Kriegsflüchtling. Wir müssen uns an die halten, die uns die Suppe eingebrockt haben." Und das sind für sie:
Sie sollen mit politischen Mitteln und Gewalt bekämpft werden: "Alle diese Leute müssen wissen, dass sie die Zielscheibe künftiger grundstürzender Veränderungen sein werden und dass sie unter Umständen ein gewisses Risiko eingehen, wenn sie ihre Aktivitäten fortsetzten." So hieß es im zentralen neofaschistischen Theorieorgan "Nation und Europa" Heft 11/12 - bereits 1992. Die Drohung von "Nation und Europa" wurde dann ergänzt durch den "Einblick" der sogenannten Anti-Antifa und setzte sich u.a. fort mit dem "Wehrwolf" einem neofaschistischen Pamphlet im letzten Jahr, mit einer Neuauflage in diesem Jahr. In diesem Wehrwolf werden - neben jüdischen Einrichtungen und Personen - Organisationen, Parteien und Personen auch aus Kaiserslautern mit Sitz, Wohnort Telefon und Bild quasi zum Abschuß freigegeben. Darunter zwei Mitglieder unserer Organisation und die jüdische Kultusgemeinde. Das lenkt den Blick auf unsere Stadt und die Umgebung. Es ist unerträglich:
Deshalb bedenke am Anfang das Ende! Das sollte uns die Geschichte gelehrt haben: Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen! Und das ist auch die Lehre des 9. November 1938. Die Geschichte unseres Landes und insbesondere auch der 9./10. November sollten uns Mahnung und Lehre sein, so etwas nie wieder zuzulassen. Zitat von Erich Kästner; auf der PEN-Tagung am 10.Mai 1958 sagte er: "Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat. " Wenn der ehemalige Geschäftsführende Direktor der "Stiftung Topographie des Terrors" in Berlin, Dr. Nachama, (Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde in Berlin) feststellte: "In Westdeutschland, einschließlich Berlin, ist nicht etwa eine Gedenkstätte entstanden, weil eine Regierung auf die Idee gekommen wäre, das müssen wir jetzt machen. Sie sind entstanden aus Initiativen, aus Bürgerinitiativen, die sie der Bundesregierung, den Landesregierungen, den Stadtregierungen, abgetrotzt haben", dann trifft das auch auf diesem Ort zu. 10 Jahre hat es gedauert, bis wir in der Rheinpfalz vom 20.9. dieses Jahres lesen konnten: "Gedenkstätte im Frühjahr 2001 fertig Es ist beabsichtigt, eine zwei bis dreidimensionale Darstellung der 1938 zerstörten Synagoge mit einer Fläche zu verbinden, auf der die Namen der jüdischen Bürger Kaiserslauterns aufgelistet werden, die auf Grund ihrer Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu Tode gekommen sind." Ausgehend von einem Vorschlag von Roland Paul und Bernhard Gerlach haben sie und viele andere einzelne Bürgerinnen und Bürger und Organisationen sich in dieser Zeit für eine solche Gedenkstätte stark gemacht. So wie auch wir u.a. an der jährlichen Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht diese Forderung immer wieder erhoben. All denen gilt unser Dank, denn Kaiserslautern braucht u.a. so eine Gedenkstätte. Denn wer geschichtslos ist, ist auch gesichtslos. Sowohl im Guten wie im Schlechten. Wir hoffen, die Stadt Kaiserslautern und ihre Bürgerinnen und Bürger werden diese Gedenkstätte hüten wie Ihren Augapfel. In diesem Zusammenhang bekommen die Worte des an den Folgen seiner KZ-Haft verstorbenen Friedensnobelpreisträgers Carl von Ossietzky einen neuen Sinn. Er schrieb: "Ob wir überleben, ist weder sicher noch die Hauptsache. Wie man später von uns denken wird, ist so wichtig wie, dass man an uns denken wird. darin liegt auch unsere Zukunft. Danach müssen wir hier leben, solange wir atmen. Ein Deutschland, das an uns denkt, wird auch ein besseres Deutschland sein." Gelesen auf einem jüdischen Friedhof in Berlin: "Wenn Du hier stehst dann schweige. Aber wenn Du Dich wendest, schweige nicht!" und ich füge hinzu: Weil die Unkultur des Wegschauens leider immer noch zu häufig ist. Denn von der Reichspogromnacht wissen wir: Das Wegschauen, Zuschauen und stille Duldung großer Teile der Bevölkerung damals hat den Tätern erst ermöglicht, zu morden. Sicher, die Situation damals ist nicht mit der heutigen gleichzusetzen. Aber gerade weil das Hinschauen und das Sich-Einmischen heute (noch) so viel leichter wäre, überrascht die Gleichgültigkeit so vieler. |