9.11.2001
63. Jahrestag der Reichspogromnacht
Redebeitrag der VVN-BdA Kaiserslautern
Veranstaltung am Synagogenplatz
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"Die Taxe, die mich mit meinem Gepäck von meiner Wohnung zum Bahnhof
brachte, bog aus der Pirmasenser Straße in Kaiserslautern in die frühere
Eisenbahnstraße ein, die in jenen Jahren zeitweilig Adolf-Hitler-Straße
hieß. Es herrschte noch tiefe Dunkelheit. Plötzlich begann der
Asphalt im Licht der Straßenlaternen zu glitzern als sei der Fahrdamm von
Wasser oder einer Schicht Quecksilber überschwemmt. Es war Glas: eine
knöcheltiefe Schicht zersplitterten Spiegelglases. Die Splitter begannen
unter dem mahlenden Druck der Autoreifen zu klirren und zu scheppern. Wir
passierten die Schaufensterfront eines großen jüdischen Kaufhauses.
Die Fenster waren blind geworden, die Schaufenster
ausgehöhlt...."
E. Lüth damals Werbeleiter eines Industrieunternehmens in Kaiserslautern
und Freund von Kurt Basch, einem bekannten Arzt, berichtet weiter:
"Ich fuhr zurück nach Kaiserslautern und fragte, was mit meinen
jüdischen Freunden einer Arztfamilie geschehen sei. Der Doktor, ein
selbstloser Helfer der Armen war verhaftet worden. Am Abend ging ich hin,
über die Hintertreppe. Die Fensterläden waren demoliert. Dann stand
ich im dürftigen Licht einer nackt an die Decke gehefteten Glühbirne,
alle Lampen waren herabgerissen worden. Hunderte von Büchern lagen wie auf
einem Scheiterhaufen in der Mitte des Raumes. Ich konnte nicht viel mit der
Frau reden, denn plötzlich schrillte die Hausglocke. Sie drängte mich
ins Nebenzimmer, man konnte die Tür nicht schließen, da auch die
Türklinke aus dem Schloß gerissen war und ich sah, was sich wenige
Meter von mir abspielte. Im Wohnzimmer stand ein Mann in Zivil. Er sagte:
'Ich wollte mich entschuldigen. Ich war einer der drei SA-Leute, die die
Praxis des Doktors zerschlagen haben.'
Die Frau blieb stumm. Der Mann sprach von seiner Tochter, die der Arzt aus
schwerer Krankheit gerettet.
'Ich hatte nicht den Mut mich zu widersetzen, ich gehorchte, ich wollte meine
Stellung nicht verlieren.'
Es wäre schwierig eine solche Szene zu erfinden. Da war das verwüstete
Heim des Armenarztes, da standen die verlassene Frau des Verhafteten, der
Handlanger des verbrecherischen Regimes, und ich, der Zeuge, der Freund um die
eigene Sicherheit bangend, hilfsbereit und doch nicht sehr tapfer, im
verdunkelten Nebenraum."
(Aus "Die Reichskristallnacht", Bonn 1959. Frankfurter Rundschau
7.7.79)
Dieser Text stammt aus einem Bericht von E. Lüth, der beschreibt wie er die
Wohnung seines Freundes Basch nach den Ereignissen der Reichspogromnacht
vorfand.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Liebe Mitmenschen,
Im Namen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten
Kreisvereinigung Kaiserslautern begrüße ich Sie und Euch auch in
diesem Jahr wieder recht herzlich und bedanke mich für Ihr und Euer Kommen
zu unserer diesjährigen Gedenkveranstaltung anläßlich des 63
Jahrestages der Reichspogromnacht.
Liebe Anwesende,
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden fast alle noch
verbliebenen 400 Synagogen in Deutschland von Nationalsozialisten, SA und SS in
Brand gesteckt.
Unter den Augen der Öffentlichkeit, sprich: der Mitbürgerinnen und
Bürger, Nachbarn, Geschäftspartnern, Kollegen etc., toleriert von der
Polizei und vor den Blicken der Feuerwehr, wurden die Synagogen kontrolliert
zerstört - kontrolliert deshalb, weil das Eigentum der "Arier"
von nebenan vor den Flammen geschützt werden mußte.
Der angeblich spontane "Volkszorn" über das Attentat des
17-jährigen Herschel Grynspan auf den Lagationsrat von Rath in der deutschen
Botschaft in Paris hat in dieser Nacht etwa 100 Menschen das Leben gekostet,
weil sie Juden waren. Und ebenfalls in dieser Nacht wurden an die 7.500
Läden und Geschäfte jüdischer Eigentümer demoliert,
geplündert und gebrandschatzt - nahezu alle Ladenlokale, die es damals
noch gab.
Der Pogrom war gründlich vorbereitet: Mit Hilfe von sachkundig
aufgestellten Listen wurden rund 30.000 wohlhabende Juden verhaftet und in
Konzentrationslager verschleppt
Schon einige Tage vor dem Attentat in Paris wurden in deutschen
Konzentrationslagern Baracken und Notunterkünfte für die zu
erwartenden Opfer der Massenverhaftungen errichtet. Hans Gasparitsch
Häftling im KZ Dachau berichtet, dass im KZ Dachau schon mehrere Tage
vor dem 9. November Baracken geräumt wurden und ein Stacheldrahtzaun
entlang der Lagerstraße gezogen wurde, der das KZ in zwei Hälften teilte.
Er erlebte die Einlieferung der jüdischen Mitbürger. Insgesamt wurden
etwa 30.000 Juden in der Reichspogromnacht und danach verhaftet. Außer in
das KZ Dachau wurden sie in den folgenden Tagen in die KZs Buchenwald und
Sachsenhausen verschleppt. In derselben Nacht und am Tag danach wurden etwa 100
Menschen während der Ausschreitungen ermordet, erschlagen, erstochen,
erschossen.
Wie Ihr und Sie sicherlich alle wissen stand hier, an diesem Platz die 1886
ihrer Bestimmung übergebenen Synagoge der jüdischen Gemeinde
Kaiserslautern.
Da geplant war, Kaiserslautern zur Gauhauptstadt zu machen, war die Synagoge
den Nazis im Weg. Die Gauleitung sollte in der Fischerstraße ihren Sitz
erhalten. Der Platz der Synagoge sollte zum Aufmarschplatz für die
Nazis gestaltet werden.
Man bot der jüdischen Gemeinde eine geringe Entschädigung, die aber
nie bezahlt wurde.
Im August 1938 wurde mit dem Abriss begonnen, nachdem quasi im Vorgriff
zur Reichspogromnacht noch eine Schändung der Synagoge stattgefunden
hatte.
Die Mitglieder der jüdischen Gemeinde wurden sogar daran gehindert, die
wichtigsten Kultgegenstände zu retten.
Im Oktober 1938 erfolgte die Sprengung der letzten Reste.
In einem Leserbrief in der Rheinpfalz schreibt ein Augenzeuge:
"Die Steine und der Schutt wurden links am Blechhammerweg
entlang abgekippt. Wenn heute viele Spaziergänger auf dem Weg zum
Vogelwoog laufen, wissen sie nicht, dass sie auf den gelben Steinen der
einst schönsten Synagoge von Südwestdeutschland wandern."
Der jüdischen Gemeinde wurde ein Betraum im alten Zuchthaus (welch eine
symbolische Geste) zur Verfügung gestellt. Dieser Raum wurde in der
Reichspogromnacht durch Brandstiftung völlig zerstört.
Am Abend des 9. November fand in der Fruchthalle die traditionelle Gedenkfeier der
NSDAP zum 15. Jahrestag des gescheiterten Hitler-Putsches von 1923 statt, auf
der Kreisleiter Knissel sprach.
Nachdem, in der Nacht zum 10. November dann die Befehle zur Organisation des
Pogroms in der Stadt eingelaufen waren, konnte sich nach einem Kommentar der
NSZ Rheinfront:
"auch in Kaiserslautern die Bevölkerung nicht
mehr halten. Wie eine strafende Welle überflutete die Erregung ... auch
unsere Stadt und räumte mit dem Judengesindel restlos auf. Denn dass die
Kaiserslauterer Juden genauso international versippt und an dem Meuchelmord
schuldig sind wie alle anderen Ihrer Rasse, ist selbstverständlich..."
Ich möchte auch heute wieder einige Zeitzeugen zu Wort kommen lassen.
Einige Beispiele:
So berichtete eine Frau, die damals zu Schule ging:
"Ich bin in der Gegend der Steinstraße groß geworden. Dort wohnten
viele Juden. Ich nenne zum Beispiel die Häutehandlung Straß in der
Steinstraße 46 neben dem heutigen Theodor Zink Museum. In der Nacht auf den
10. November haben wir noch nichts gehört, erst am Morgen ging es los. Als
ich zur Schule ging, die Steinstraße hinunter zur Maxschule, konnte man schon
die ersten eingeschlagenen Fensterscheiben sehen. In der Schule haben wir
schulfrei bekommen, welche Begründung der Lehrer nannte, weiß ich
nicht mehr. Dann sind wir halt 'geschweift'. Für uns Kinder war das ganze
eine Sensation. Ich muß durch viele Straßen der Stadt gekommen
sein. Auf dem Heimweg habe ich zwei alte jüdische Leute gesehen. Sie
hatten ein kleines Schuhgeschäft in der Salzstraße, waren etwa 60 Jahre
alt. Die beiden Alten saßen in ihren Trümmern auf der Straße,
sie hielten sich an der Hand und weinten vor sich hin..."
In der Ottostraße befand sich die Wohnung des Kaufmanns Franz Wertheimer und
die Wohnung der Familie Karl Wertheimer.
Am Abend des 10. November 1938 wurde das Mobiliar der Familie Karl Wertheimer von
den Nazis aus dem Fenster geworfen und die Wohnungseinrichtung von Franz
Wertheimer fast völlig zerstört.
"Am Abend dieses schrecklichen Tages", so erinnert sich der damalige
Rabbiner Dr. Sally Baron, "an dem in Kaiserslautern alle männlichen
jüdischen Personen zwischen 16 und 65 Jahren in das Konzentrationslager zu
Dachau überführt wurden, kamen um 7 Uhr Abgesandte der Partei in alle
jüdischen Häuser und erklärten, dass die gesamte
jüdische Bevölkerung der Stadt bis Mitternacht die Pfalz zu verlassen
habe. Mit Handgepäck und Rucksäcken mußten sie unter Gejohle
des Pöbels, der auf den Straßen Spalier stand und sie verspottete,
zur Bahn ziehen, denn Fuhrwerke zu benutzen war ihnen verboten, und auch sonst
wagte niemand von der Bevölkerung ihnen irgendwie behilflich zu sein."
Die Pfälzische Presse meldete am folgenden Tag unter der Überschrift
"Kaiserslautern wird von Juden gesäubert":
"Sie werden das Gaugebiet verlassen müssen. Wie das geschieht, ist
gleichgültig; nur raus mit ihnen, damit Kaiserslautern und die Pfalz und
schließlich Deutschland endlich frei von Juden wird."
Insgesamt wurden an diesem Tag in Kaiserslautern von den 11 noch vorhandenen
jüdischen Geschäften 10 vollständig zerstört und von den
rund 160 jüdischen Wohnungen etwa 110 zum Teil völlig, zum Teil
erheblich zerstört. Die NSDAP Kreisleitung bezifferte den Gesamtschaden
damals nach eigenen Angaben auf ca. über 1 Millionen Reichsmark.
Alle jüdischen Männer, die transportfähig schienen, wurden bis
auf wenige Ausnahmen verhaftet. Viele wurden dabei misshandelt und in
einer entwürdigenden Aufmachung durch die Stadt zur Polizeidirektion in
der Logenstraße geführt.
Verbunden mit diesen Zerstörungen und der massenhaften Verfolgung war der
Raub jüdischen Vermögen, besser bekannt unter dem Stichwort
"Arisierung". Dabei bereicherten sich "arische"
Geschäftsleute und Banken, Versicherungen und der faschistische Staat am
Eigentum der deutschen Juden.
Große und kleine Unternehmer ließen sich die noch in jüdischem
Besitz befindlichen Eigentumsanteile von Fabriken und Geschäften für
einen lächerlichen Betrag, der darüber hinaus noch in die Staatskasse
floss, übertragen.
Die Banken übernahmen lautlos jüdische Vermögenswerte, soweit
sie nicht an den Staat abgetreten werden mussten. Versicherungen verweigerten
die Auszahlung von Ansprüchen aus Versicherungsverträgen.
Darüber hinaus wurden die deutschen Juden zur Zahlung einer sogenannten
"Wiedergutmachung" in Höhe von insgesamt 1,25 Milliarden
Goldmark verpflichtet. Die staatliche Aneignung jüdischen Eigentums in der
"Arisierung" diente direkt der Kriegsfinanzierung.
Die Reichspogromnacht war bisheriger Höhepunkt der menschenverachtenden
Politik der Nazis. Sie wurde der Ausgangspunkt für die
menschenvernichtenden Politik der Nazis.
Heinrich Mann schrieb dazu:
"Zum erstenmal erkennen alle, welchen Höllenpfuhl dieses Regime aus
der zivilisierten Menschheit machen würde, wenn es sie mit ihrer
Weltanschauung weiter verpestet."
Ein Opfer schrieb wenige Jahre nach den Ereignissen, die 60 Jahre her sind:
"Damals glaubten wir, dass dies der Höhepunkt der
Judenverfolgung sei. In Wahrheit war es das letzte Alarmsignal vor der
Vernichtung."
Der Völkermord an den Juden gehörte in den Gesamtrahmen der
nazistischen Weltherrschaftpolitik, ebenso wie der Völkermord an den Sinti
und Roma und der Vernichtungskrieg gegen die zu "Untermenschen"
gestempelten Polen, Russen, Ukrainer, Juguslawen u.s.w.
Aber Theorie und Praxis des "Herrenmenschentums" richtete sich auch
gegen Deutsche, gegen "Lebensuntüchtige", wie das furchtbare Wort
für die Opfer der NS-Euthanasie hieß, die hinter den Mauern von Hadamar
und anderen Anstalten wie z.B. Grafeneck zu Zehntausenden ermordet wurden.
Wie konnte es soweit kommen, dass das deutsche Volk ein solches
Ausmaß staatlicher Willkür und sanktionierten Verbrechens schweigend
hinnahm?
Dies war u.a. nur möglich geworden, weil die Nazis mit Einverständnis
ihrer konservativen und reaktionären Steigbügelhalter als erstes die
Gewerkschaften, Parteien und sonstige Organisationen der deutschen
Arbeiterbewegung zerschlagen, deren Kader zu Tausenden ermordete, zu
Zehntausenden in die Konzentrationslager verschleppt, die Reste in die
Illegalität oder ins Exil getrieben hatte.
Die Juden wurden zusammen mit Christen, Kommunisten, Liberalen,
Sozialdemokraten und Gewerkschaftern, zusammen mit den Sinti und Roma und
anderen Gruppen aus der sogenannten Volksgemeinschaft ausgegrenzt und zu
Volksfeinden erklärt.
Mit der totalen Gleichschaltung des Staatsapparates wie den gesamten
öffentlichen Lebens hatten die Nazis die völlige Unterwerfung des
bürgerlichen Lagers durchgeführt, von da an herrschte weithin
Friedhofsruhe im Land.
Die Kriegsvorbereitungen konnten beginnen, und zugleich durften sich nun viele
Unternehmer, wie bereits gesagt, schamlos bereichern bei der
"Arisierung" genannten Enteignung der Juden.
Die Reichspogromnacht war alsdann die Generalprobe für das weitere
gewaltsame Vorgehen der Nazis. Sie lieferte ihnen den Beweis, dass ihrer
Willkür und Brutalität keine Grenzen mehr gesetzt waren, dass
die Menschen an Gewalt und Terror gewöhnt werden konnten, dass nun
mit dem Angriffskrieg zur Unterjochung aller Nachbarvölker begonnen werden
konnte, dass der Weg frei war, der dann nach Auschwitz und zu
millionenfachem Massenmord führte.
Erst brannten die Synagogen - dann brannten Menschen - dann brannte Europa.
Gedenkminute
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Mitmenschen,
Auf Grund der Ereignisse ist der 9. November zuerst ein Tag des Gedenkens an die
Opfer. Als Organisation ehemaliger Naziverfolgter und junger Antifaschistinnen
und Antifaschisten wollen wir aber auch dazu beitragen, dass die
Erinnerung an dieses Datum immer wieder auch als Mahnung für heute
dient.
Erinnerung tut Not!
Weil Antisemitismus auch 63 Jahre nach der Pogromnacht Teil des Altags der
Bundesrepublik ist.
Brandanschläge auf Synagogen, umgestürzte jüdische Grabsteine,
Hakenkreuze auf Mauern jüdischer Friedhöfe, Brief- und Telefonterror
gegen Juden: Woche für Woche zeigt sich, dass der Antisemitismus nach wie
vor Kernelement von Naziideologie ist. dabei sollt auch nicht vergessen werden,
dass seit Jahrzenten Hetze gegen Juden öffentlich geduldet wird: Woche
für Woche verbreitet etwa die "Nationalzeitung" des Chefs der
deutschen Volksunion Frey ihre Schlagzeilen - meist getarnt durch
Frageform.
Erinnerung tut Not!
Weil Menschen, die anders aussehen, anders reden oder nicht in das Bild des
deutschen Leitmenschen passen, in der Bundesrepublik tagtäglich um Leben
und Gesundheit fürchten müssen. Weit über hundert Menschen
fielen allein in den letzten 11 Jahren dem faschistischen Terror in Deutschland
zum Opfer. Eine Blutspur die vor 1933 anfing und sich fortsetzt bis in die
heutigen Tage.
Der Tag an dem vor 63 Jahren in Deutschland die Synagogen
brannten, muss einen Sinn erhalten, der über die Besinnung und Trauer
hinausgeht. Die Umsetzung der Empörung in konkretes Handeln ist notwendig,
damit nie wieder Rassismus und Völkerhetze die Menschen bedrohen. Deshalb
fordern wir u.a. eine entschiedene Bekämpfung des neofaschistischen
Terrors und aller faschistischen Umtriebe.
Es vergeht keine Woche in der nicht erneut von einem Naziumzug in irgendeiner
Stadt unseres Landes berichtet wird. Bis Ende September wurden offiziell wieder
9131 rechte Straf- und Gewalttaten erfasst.
Auch nach einem Jahr des sogenannten Aufstands der Anständigen hat sich
hier nicht viel bewegt.
Zum Aufstand der Anständigen gehört auch der Anstand der
Zuständigen.
Viele Jahre lang haben die offizielle Politik und andere staatliche Bereiche
neofaschistische Politik und neofaschistische Organisationen verharmlost.
Über die Deutsche Volksunion, sog. Republikaner und die Neue Rechte mit
ihren zahlreichen Verbindungen in das konservative Lager hinein, in
Burschenschaften, Vertriebenenverbände und militaristische
Traditionsverbände der Wehrmacht wird nach wie vor kaum gesprochen.
Aufgeregt wurde im letzten Jahr bis heute darüber diskutiert, was gegen
Rechtextremismus zu unternehmen sei. Neben dem Ruf nach staatlichen
Maßnahmen werden von Politikerinnen und Politikern immer wieder
Bürgerengagement und Zivilcourage eigefordert.
Wir begrüßen diese Appelle.
Es darf aber nicht übersehen werden, dass sich bereits zahlreiche
Initiativen, Gruppen und Organisationen - oft schon seit Jahren - nahezu
täglich gegen Neofaschismus und Rassismus engagieren.
Sie treten an zahlreichen Orten gegen Neonazis auf. Sie sind Mitiniatoren
vieler Aktivitäten, Kundgebungen und Demonstrationen gegen
Rechtsextremismus. In Schulen, Jugendgruppen, Vereinen und Verbänden
klären engagierte Bürgerinnen und Bürger - unter ihnen
Überlebende des Naziterrors - über die Geschichte und die Gefahren
des Neofaschismus auf. Bislang wurden sie dabei von der offiziellen Politik
häufig als störend empfunden, beiseite geschoben, oft sogar
diffamiert und mit dem Stempel "verfassungsfeindlich" versehen.
Damit muß Schluß sein.
» Antirassistischer und antifaschistischer Arbeit müssen
ausreichend Mittel und Kräfte zur Verfügung gestellt werden
» Demokratische Aktivitäten gegen neofaschistische
Aufmärsche und Umtriebe dürfen nicht behindert werden
» Jegliche Diffamierung antirassistischer und antifasschistischer
Initiativen und Gruppen ist zu unterlassen - auch wenn sie politisch unbequem
sein mögen.
Das gilt auch für Kaiserslautern.
Denn es ist unerträglich:
» dass die Neofaschistische NPD nach wie vor gute Strukturen in dieser Stadt
hat. Es finden wöchendliche Treffen statt. Monatlich triff man sich in
einer Gaststätte vor den Toren Kaiserslauterns zu Schulungsabenden, und im
Juni dieses Jahres hat die NPD ein Fest im Volkspark mit bundesweiter
Beteiligung durchgeführt.
» In Kaiserslautern hat seit Jahren eine Vorfeldorganisation der
NPD die "Deutsche Akademie" ihren Hauptsitz,
» der neofaschistische Stahlhelm betreibt nach wie vor seine
Aktivitäten in der Nähe dieser Stadt in seinem Schulungszentrum.
» Neofaschistische Zeitungen wie Deutsche Stimme, Nationalzeitung
und Junge Freiheit können an vielen Kiosken und in vielen Geschäften
dieser Stadt gekauft werden.
» Der rechtsextreme "Politisch-Kulturelle Arbeitskreis"
verbreitet nach wie vor seine braune Ideologie
» und nach wie vor plätschert ein Brunnen vor dieser Stadt, der
dem Anschluß Österreichs an Deutschland 1938 gewidmet ist.
» Dieser sogenannte Anschluß hat u.a. für die
österreichischen Juden kathastrophale Folgen gehabt.
Werte Anwesende,
Der 9. November 1938 ist untrennbar mit dem 30. Januar 1933 verbunden, dem Tag,
an dem den Faschisten die Macht übertragen wurde.
Deshalb bedenke am Anfang das Ende!
Faschismus, das sollte uns die Geschichte gelehrt haben,
Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen!
Auch das ist auch die Lehre des 9. November 1938.
Wenn der ehemalige Geschäftsführende Direktor der "Stiftung
Topographie des Terrors" in Berlin Dr. Nachama (Vorsitzender der
Jüdischen Kultusgemeinde in Berlin) feststellte:
"In Westdeutschland, einschließlich Berlin, ist nicht etwa eine
Gedenkstätte entstanden, weil eine Regierung auf die Idee gekommen
wäre, das müssen wir jetzt machen.
Sie sind entstanden aus Initiativen, aus Bürgerinitiativen, die sie der
Bundesregierung, den Landesregierungen, den Stadtregierungen, abgetrotzt
haben",
dann trifft das auch auf diesen Ort zu.
11 Jahre hat es gedauert, bis wir in der Rheinpfalz vom 31.10. dieses Jahres
lesen konnten:
"Auf der Suche nach den Grundmauern der Synagoge - Arbeiten am Mahnmal
beginnen - Teil des Torbogens wird rekonstruiert"
Ausgehend von einem Vorschlag von Roland Paul und Bernhard Gerlach haben sie
und viele andere einzelne Bürgerinnen und Bürger und Organisationen
sich in dieser Zeit für eine solche Gedenkstätte hier auf dem
Synagogenplatz stark gemacht, so wie auch wir u.a. an der jährlichen
Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht diese Forderung immer wieder
erhoben haben.
All denen gilt unser Dank: Denn Kaiserslautern braucht u.a. so eine
Gedenkstätte. Denn wer geschichtslos ist ist auch gesichtslos - sowohl im
Guten wie im Schlechten. Und ich hoffe, die Stadt Kaiserslautern und mit Ihr
seine Bürgerinnen und Bürger werden diese Gedenkstätte
hüten wie Ihren Augapfel.
Gelesen auf einem jüdischen Friedhof in Berlin:
"Wenn Du hier stehst,
dann schweige.
Aber wenn Du Dich wendest,
schweige nicht!"
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