15.5.2005
8. Mai 2005 - 60. Jahrestag der Befreiung
Kundgebung und Kranzniederlegung
am Gedenkstein für die Opfer des Faschismus
Einleitung
Liebe Mitmenschen,
Liebe Freundinnen und Freunde,
Anlass unseres heutigen Zusammentreffens ist der 8. Mai, der offizielle 60.
Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg.
Kaiserslautern wurde bereits am 20. März 1945 durch amerikanische
Truppen vom Faschismus befreit. Sie wurden von einem ortskundigen italienischen
Zwangsarbeiter in die Stadt geführt, da die Nazis die großen
Zufahrtswege entweder verbarrikadiert oder gesprengt hatten. Es war der
desolate Zustand der Nazi-Wehrmacht, der die lokale Naziführung daran
hinderte, die Stadt bis zum letzten Stein verteidigen zu lassen. So entging
Kaiserslautern der Zerstörung.
Ihre Befreiung feierten insbesondere die hierher verschleppten
Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen. Im Stadttagebuch könnt Ihr
nachlesen, wie darauf Reaktion und Spießertum in Kaiserslautern
reagierten. Von den Freudenfesten der ZwangsarbeiterInnen fühlten sich die
so braven Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt in ihrer Ruhe
gestört.
Auch an dieser Stadt ist die Zeit von 1933 bis 1945 nicht spurlos
vorbeigegangen. Naziterror und Unterdrückung gab es auch in
Kaiserslautern. Ebenso trafen die Bevölkerung Kaiserslauterns die Folgen
des von den Faschisten - im Zusammenspiel mit der Großindustrie -
entfesselten 2.Weltkrieges. Tote an den Fronten und wieder Tote bei den
Luftangriffen der Allierten auf Kaiserslautern. Der Krieg kehrte an seinen
Ausgangspunkt zurück!
Der 8. Mai 1945 ist auch in Kaiserslautern untrennbar mit dem 30. Januar
1933 verbunden, dem Tag, an dem den Faschisten die Macht übertragen
wurde.
Deshalb bedenket am Anfang das Ende!
Die Funktion des Polizeipräsidiums im Faschismus ist nicht der Grund,
weshalb der Gedenkstein für die Opfer des Faschismus an dieser Stelle
steht. Der Gedenkstein stand ursprünglich in der Anlage am
Eisplätzchen (unterhalb des heutigen Rathauses). Wann der Gedenkstein
ursprünglich gesetzt wurde, konnten wir bisher nicht genau ermitteln. Es
gibt eine Aussage von Eugen Hertel aus dem Jahre 1963, nach der die Errichtung
des Gedenksteines für die Opfer des Faschismus einer der ersten
Beschlüsse des Stadtrates nach 1945 war.
Im Januar 1964 wurde der Stein an
seinen heutigen Standort versetzt, damit er, wie es Eugen Hertel formulierte
"bei den Unterrichtsgängen hiesiger und auswärtiger Schulen dem
staatsbürgerlichen Nachwuchs nutzbar gemacht werden kann." (Hertel,
29.11.63).
Im November 1987 wurde der Gedenkstein mit einem Hakenkreuz beschmiert.
Dagegen fand eine Kundgebung statt, an der sich über 100 Menschen
beteiligten, die aus den unterschiedlichsten politischen Bereichen der Stadt
kamen.
Auf diesem Gedenkstein ist eine Tafel mit dem Text "Den Opfern des
Faschismus 1933 - 1945. Die Stadt Kaiserslautern" angebracht.
Wer waren diese Opfer?
Es waren Menschen, die aus den verschiedensten Motiven heraus nicht in das
unmenschliche Weltbild des Faschismus passten. Gewerkschafter, Juden,
Sozialdemokraten, Christen, Kommunisten, Sinti und Roma, Kranke, Deserteure,
Homosexuelle, Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und ZwangsarbeiterInnen, Deutsche
und Nichtdeutsche.
Sie wurden gejagt und gehetzt, eingesperrt in Gefängnissen und
Konzentrationslagern, geschunden, erschlagen, ermordet, vergast, zu Tode
gespritzt, erhängt, erschossen; man ließ sie verhungern, erfrieren
oder vernichtete sie durch Arbeit nach dem Motto: "Arbeit macht
frei". Auch in und aus Kaiserslautern waren es Hunderte, die dieses
Schicksal erlitten. Nur die allerwenigsten überlebten und viele starben
noch nach 1945 an den Folgen der faschistischen Barbarei.
"Menschen ich hatte euch lieb, seid wachsam",
schrieb der tschechische Widerstandskämpfer Julius Fucik vor seiner
Hinrichtung am 8.9.1943. Und an einer anderen Stelle schrieb er:
"... vergesst nicht.
Vergesst die Guten nicht und nicht die Schlechten. Sammelt geduldig die
Zeugnisse über die Gefallenen. Eines Tages wird das Heute Vergangenheit
sein, wird man von der großen Zeit und von den namenlosen Helden
sprechen, die Geschichte gemacht haben. Ich möchte, dass man weiß,
dass es keine namenlosen Helden gegeben hat. Dass es Menschen waren, die ihren
Namen, ihr Gesicht, ihre Sehnsucht und ihre Hoffnungen hatten, und dass deshalb
der Schmerz auch des Letzten unter ihnen nicht kleiner war als der Schmerz des
Ersten, dessen Namen erhalten bleibt. Ich möchte, dass sie alle euch immer
nahe bleiben, wie Bekannte, wie Verwandte, wie ihr selbst."
Redebeitrag der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der
Antifaschisten (VVN/BdA)
Liebe Freundinnen und Freunde,
Am 8. Mai 1945, also heute vor 60 Jahren wurde nicht nur das Ende irgend
eines Krieges besiegelt, sondern der Weiterbestand der Zivilisation.
Kaum auszudenken, wenn es nicht so gekommen wäre. In seinem zeitweise
riesigen Herrschaftsbereich hat der Deutsche Faschismus eine ganze Reihe von
Plänen realisiert und erprobt, die er der gesamten Menschheit zugedacht
hatte - wenn es ihm gelungen wäre, die "Arierherrschaft"
über die Erde, das "großgermanische Weltreich" zu
errichten, mit dem Adler über der Weltkugel, deren Zentrum das in
"Germania" umgetaufte Berlin werden sollte. Wie hieß es doch in
dem von den Faschisten am lautesten gegrölten Lied: "Denn heute
gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt ..."
An diesem 8. Mai wurde das Ende eines Staates besiegelt, zu dem das deutsche
Volk innerlich und äußerlich ja gesagt hat wie zu keinem anderen
deutschen Staat vorher und nachher.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Lange Zeit sah es so aus, als ob regierungsoffiziell zum 60. Jahrestag der
Befreiung vom Hitlerfaschismus lediglich an die Kapitulation und das Kriegsende
erinnert werden sollte. Die Befreiung schien medial bereits mit der Landung der
Alliierten am 6. Juni 1944 in der Normandie über die Deutschen gekommen zu
sein. Die innere Befreiung hatten, wenn auch vergeblich, die Verschwörer
des 20. Juli versucht. Richard von Weizsäckers Rede, in der er vor 20
Jahren den 8. Mai 1945 zum ersten Mal in dieser Deutlichkeit als Tag der
Befreiung in der Bundesrepublik bezeichnet hatte, schien vergessen, wie ein
Relikt aus der Entspannungszeit.
In dem erinnerungspolitischen Diskurs der letzten Monate geriet der 8. Mai
2005 zunehmend zu einem Volkstrauertag für die deutschen Kriegsopfer. In
geistiger Nähe zur Argumentation der NPD stilisierten auch Politiker aus
der Mitte der Gesellschaft die Deutschen zu den eigentlichen Opfern des
Krieges. Die Bombenangriffe wurden nicht nur von Jörg Friedrich als
sinnlos hingestellt, obwohl noch an allen Fronten erbittert gekämpft
wurde.
Auch bei der von der Nazi-Führung zu verantwortenden Flucht von
Millionen Zivilisten wird zumeist ausgeblendet, dass es die Deutschen waren,
die den Krieg begonnen hatten. Ursache und Wirkung verkehren sich. Eine
Versöhnung aller Opfer wird beschworen. Die Täter geraten in dieser
Selbstinszenierung selbst zu Opfern. Im Dickicht der Aufrechnung entlädt
sich das Bedürfnis nach Entlastung, Schuldumkehr und Wiederherstellung
einer zweifelhaften nationalen Ehre.
Als der Krieg auf die Deutschen zurückschlug, wurden sie in
großer Zahl selbst Opfer einer verbrecherischen Politik, die sie
überwiegend mitgetragen, geduldet und zu verantworten hatten. Für das
Leid der deutschen Bevölkerung und den Tod von Hunderttausenden Menschen
noch in der Endphase des Krieges sind die Nazi-Führung, die
Generalität und die vielen, allzu vielen willfährigen Helfer
verantwortlich.
Statt die Waffen niederzulegen und bedingungslos zu kapitulieren, setzten
sie den verbrecherischen Krieg bis zum bitteren Ende fort. SS- und
Wehrmachtsangehörige erschossen bis in die letzten Kriegswochen Tausende
von Häftlingen aus Konzentrationslagern und Zuchthäusern, Soldaten
und Offiziere, die sich weigerten, weiterzukämpfen, Zivilisten, die mit
weißen Fahnen ein Friedenszeichen setzen wollten und viele andere. Gerade
auch sie dürfen nicht vergessen werden.
Die Rote Armee und ihre Verbündeten haben die Häftlinge in den KZ
und Zuchthäusern, haben Europa und die Welt vom Faschismus und nicht
zuletzt auch die Deutschen selbst von einem beispiellosen Terrorregime befreit.
Dafür gelten ihnen unser Dank und unser Respekt.
Und dies ist uns heute Verpflichtung und Mahnung, für eine Welt ohne
Krieg und Faschismus zu kämpfen. Bei den zahlreichen Diskussionen der
letzten Wochen wird immer deutlicher: Der 8. Mai ist und bleibt in Deutschland
und Europa der Tag der Befreiung und des Sieges über den Faschismus.
Liebe Freundinnen und Freunde,
vor wenigen Wochen, am 11. April war ich zusammen mit mehreren Tausend
Menschen im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald. Wir, darunter über
500 überlebende ehemalige Häftlinge des Konzentrationslagers waren
zusammengekommen, um den 60. Jahrestag der Befreiung des KZ zu begehen. Im
Rahmen der Gedenkveranstaltung verlas der Enkel eines ehemaligen
Buchenwaldhäftlings, Steffen Trostorff, einen erneuten Schwur von
Buchenwald. Ich habe diesen erneuten Schwur mitgebracht und möchte ihn
Euch jetzt vorlesen:
Schwur des Jugendlichen Steffen Trostorff für die Opfer des
Konzentrationslagers Buchenwald anlässlich der zentralen
Gedenkveranstaltung aus Anlass des 60. Jahrestages der Befreiung der
nationalsozialistischen Konzentrationslager
Der Vergangenheit verbunden sein, um die Zukunft zu sichern
Auf diesem Appellplatz leisteten kurz nach ihrer Befreiung am 19. April 1945
über 20.000 Überlebende des Konzentrationslagers Buchenwald einen
Schwur; hier, wo sie so viele schmerzhafte Momente erlebt hatten. Sie waren von
überall hierher gebracht worden: zuerst aus Deutschland, dann aus vielen
Ländern Europas und sogar aus anderen Teilen der Welt.
Mit diesem feierlichen und symbolischen Akt erwiesen sie den Zehntausenden
die Ehre, die an diesem Ort um ihr Leben gebracht wurden. Sie waren erschossen,
erhängt, totgeschlagen, durch Spritzen getötet worden. Sie waren vor
Erschöpfung und an unfassbaren Leiden gestorben. Sie wurden als Sklaven in
den Rüstungsfabriken Hitlers oder während der Todesmärsche
ermordet. All das, weil sie gegen das mörderische Regime der
Nationalsozialisten gekämpft hatten oder aus rassistischen Gründen
verfolgt wurden.
Die Überlebenden dankten den Soldaten der alliierten Armeen für
ihren Einsatz für die Demokratie und den Frieden, und betonten den Kampf,
den sie zusammen geführt hatten: gegen die verbrecherischen
Nationalsozialisten und für die eigene Befreiung. Sie proklamierten:
"Unsere Sache ist gerecht, der Sieg muss unser sein."
Sie unterstrichen ihre äußerste Entschlossenheit: "Die
endgültige Zerschmetterung des Nazismus ist unsere Losung. Der Aufbau
einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel".
Seitdem sind sechzig Jahre vergangen.
Das, was den Überlebenden geholfen hat am Leben zu bleiben, war die
Idee, dass eines Tages Gerechtigkeit in der Welt herrsche. Dies ist nicht
Wirklichkeit geworden.
Überall auf der Welt entbrennen immer wieder Kriege und bringen
Zerstörung und Armut für die Zivilbevölkerung.
Massenvernichtungswaffen bedrohen die Menschheit. Viele Regionen der Welt
leiden unter Hungersnöten. Dort sterben Millionen von Menschen, zuerst die
Kinder. Völkern wird das Recht auf ein nationales Territorium verweigert.
Die einfachen Rechte auf Arbeit, Gesundheit und Glück werden
verhöhnt.
Diese ständige Unsicherheit führt zu einer realen Gefährdung
der Demokratie, der Freiheiten und des Friedens.
Die bedingungslose Kapitulation der Armeen Hitlers am 8. Mai 1945 bedeutete
nicht das Ende der nationalsozialistischen Ideologie. Gefährlich ist sie
heute wieder in ihren extremsten Formen verbreitet: Rassismus,
Fremdenfeindlichkeit und die Ablehnung jeder Verschiedenheit. Die
Gedankenfreiheit wird zunehmend von Fundamentalismen beeinträchtigt.
Die Solidarität, die die Überlebenden beseelte und einte, und die
Hoffnung auf ein Europa, gar eine Welt nach ihrer Vorstellung, ließ sie
über die nationalsozialistische Barbarei siegen.
Wir, die Generation des 21. Jahrhunderts, wenden uns in diesem April 2005 an
die Vereinten Nationen. Diese Organisation ist selbst aus dem Sieg des Menschen
über die Diktatur hervorgegangen. Ihr liegen feierliche Erklärungen
zugrunde, dass sie sich entschieden für den Schutz der Rechte jedes
Menschen einzusetzen hat.
Genauso wenden wir uns an die Regierenden aller Nationen, besonders in
Europa, von wo die schwersten Konflikte des vergangenen Jahrhunderts
ausgegangen sind.
Hiermit verneigen wir uns in Erinnerung an die Toten und sprechen unsere
Hochachtung gegenüber allen Überlebenden aus.
Lasst uns wie die Überlebenden das Vertrauen in die Zukunft bewahren!
Lasst uns ihre Erfahrung in unserem Bewusstsein halten! Erinnern wir uns an
ihren Zusammenhalt in schwierigster Lage!
Die aktuellen Probleme erfordern gründliches Nachdenken. Das Europa von
morgen muss für Stabilität zwischen den Nationen sorgen, die
Solidarität der Völker und einen dauerhaften Zusammenhalt sichern, in
Achtung gegenüber allen, ob groß oder klein, stark oder schwach.
Der Erinnerung an die Vergangenheit verbunden, lasst uns unentwegt für
Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Frieden einstehen.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Lasst uns an diesem Tag aber auch in Erinnerung rufen, dass, wie es Berthold
Brecht sagte, der Schoß noch fruchtbar ist, aus dem der Faschismus kroch.
Die Befreiung ist noch nicht vollendet! Nazis marschieren wieder - auch
heute in Berlin -, sitzen in Parlamenten und ihre blutige Terrorspur hat
sich auch nach 1945 fortgesetzt. Hunderte Menschen sind auch nach 1945 Opfer
faschistischer Schläger geworden.
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