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2.9.2005
Stefan Gleser
Ein unbekannter LebensretterDer Kaiserslauterer Arzt Dr. Helmut Schäfer erinnert sich an seinen Vater
Helmut Schäfer:
Major der Schutzpolizei Ernst Schäfer.Ein Offiziersleben in der Nazizeit mit selbstloser Hilfe für Juden, Polen und Sozialdemokraten. Mit zahlreichen Abbildungen und Dokumenten. 106 Seiten. Verlag Franz Arbogast, Otterbach. Roland Paul vom Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde stand beim Verfassen des Buches beratend zur Seite. Leider ist es zur Zeit nur als Privatdruck erhältlich. Ernst Schäfer wurde 1894 in Schweisweiler im ländlich-protestantischen Milieu der Nordpfalz geboren; als Sohn eines Lehrers war seine Jugend nicht mit Reichtümern gesegnet, aber um so mehr mit Sozialprestige versehen; bei Anbruch des ersten Weltkrieges begeistert er sich als Freiwilliger; danach kämpft er im Freicorps Lützow in Oberschlesien gegen die Polen und dient der Weimarer Republik als Major im Polizeidienst; in der Freizeit ist er leidenschaftlicher Jäger: also, auf den ersten Blick, beste Chancen für eine Nazikarriere. Ich blättere mal in dem Buch ... "In der Kaserne der deutschen Reit- und Fahrschule, die von Bonn dorthin verlegt worden war, wurden die dorthin zur Arbeit geschickten Juden abends bei der Entlassung schwer misshandelt. Ein Unteroffizier stellte sich an den Ausgang, die Juden mussten einzeln durch das Pförtchen laufen, wobei ihnen der Unteroffizier mit einer Eisenstange vor das Schienenbein schlug. Als mir der Vorstand der jüdischen Gemeinde diese Brutalität meldete, entzog ich der Reit- und Fahrschule sofort die Arbeitskräfte. Stadtkommissar Kramer ordnete auf Beschwerden des Kommandeurs der Schule die sofortige Weitergestellung an. Erst nachdem jedoch der Kommandeur der Reit- und Fahrschule persönlich bei mir erschien und bindende Erklärungen über eine gute Behandlung der Juden abgab, erhielt er wieder Arbeitskräfte." Der Kaiserslauterer Ernst Schäfer wurde am 26.10.1939 in die nordpolnische Stadt Wloclawek abkommandiert, um die deutsche Polizeiverwaltung einzurichten. Am 8.1.1940 wurde er strafweise nach Deutschland zurückversetzt, weil er unter anderem zahlreichen Juden und Polen das Leben rettete. Sein Sohn Helmut Schäfer, ein jahrzehntelang in Kaiserslautern praktizierender Arzt, hat Dokumente und Erinnerungen an seinen Vater gesammelt. Mehr aus den Gedächtnisprotokollen des Vaters: "Anstelle der gesprengten Weichselbrücke hatte der Stadtkommissar Kramer einen Dampfer eingestellt, der als Fähre diente. 20 Juden wurden täglich zur Fähre abgestellt, um die Fahrzeuge an einem Ufer hinauf- und am anderen herunterzuheben. Die Volksdeutschen, die Kramer als Wache auf dem Dampfer hatte, machten sich das Vergnügen, jeden Tag ein oder zwei Juden vom Dampfer in die Weichsel zu stoßen, wo sie unter dem Gelächter der Volksdeutschen ertranken. Als mir die Sache bekannt wurde, drohte ich den Volksdeutschen schwerste Strafe an. Sie mussten jeden Abend nach Einstellung des Fährbetriebes mir die 20 Juden vorstellen, damit ich feststellen konnte, das keiner ertränkt war." Ernst Schäfer wurde 1935 aus der NSDAP ausgeschlossen, während der Nazizeit nie befördert, als "ostuntauglich" nach Stettin versetzt und entkam knapp einer Verurteilung durch ein SS-Gericht. Nach dem Kriegsende kehrte er nach Kaiserslautern zurück. Er stand zwischen den Fronten. Für die Alliierten höherer Polizeioffizier Hitlers, für deutsche Antifaschisten ein mutiger und aufopfernder Lebensretter. Erst nach vielerlei bürokratischen Hürden wurde er als "nichtschuldig" eingestuft und erhielt eine Stelle bei der Stadtverwaltung. 1957 verstarb er. Schäfer dürfte einen Balanceakt vorgeführt haben. Wird er entlassen oder gar verhaftet, kann er nicht helfen. Wird er befördert, macht er sich schuldig an den Verbrechen. So hoch die Position, dass der Widerstand effektiv ist. So niedrig, dass er nicht durch Privilegien verlockt wird und er sein Gewissen bewahrt. Schäfers Rückhalt war die Familie. Er beruft sich auf keine Partei und keine Kirche. Er scheint der Ansicht gewesen zu sein, der Mensch habe ein angeborenes Schamgefühl, das ihn vor den größten Schandtaten bewahre. Dazu Eigenschaften, die er unmittelbar einem preußischen Offizier zuordnet und die mir wie aus einer anderen Welt vorkommen: die Treue zum gegebenen Wort und Großmut gegenüber dem Besiegten wie er sie gegenüber polnischen Soldaten walten lässt. Vorgesetzter sein, definiert er als Fürsorge und Schutz dem Schwächeren gegenüber. Humanistische Bildung - Helmut Schäfer hat das altgriechische Vokabelheft seines Vaters abgedruckt - sieht er als Verpflichtung zum humanen Handeln. Liebt er sein Vaterland, dann haben Menschen anderer Herkunft auch das Recht ihres zu lieben. Respekt zollt er dem Patriotismus einer Polin. Wilhelm Engel, vor 1933 in Pommern Gewerkschafter und bekanntes SPD-Mitglied, im Krieg Untergebener Schäfers, nach der Befreiung stellvertretender Polizeidirektor in Fürth schreibt über Ernst Schäfer: "Als im dritten Reich berüchtigter und verhasster Nazigegner hätte ich mein Leben ohne seinen Einsatz wohl nicht in die neue Zeit hinübergerettet." Helmut Schäfer hat in seinem ansonsten spröden Stil schöne altfränkische Wendungen geschmuggelt. Da werden "Machenschaften ruchbar" und der Lehrer hat eine "Pfründe" als sei er Kleriker im Mittelalter. Erinnerungen, unverständlich, wenn sie nicht verklärt worden wären, glätten in Anekdoten das ansonsten förmlich wüste Pflichtbewusstsein des Vaters. Als hätte dieser Brechts Flüchtlingsgespräche gelesen, stellt er Pässe aus, die zahlreichen Menschen ermöglichen unterzutauchen. Gegenübern den Vorgesetzten argumentiert er mit möglichen Reaktionen des Auslandes und warnt, dass andere Völker das "Deutschenproblem" so lösen könnten wie die Deutschen das angebliche "Judenproblem". Karl Wertheimer, sozialdemokratischer Stadtrat und Vorsitzender der israelitischen Kultusgemeinde in Kaiserslautern lässt Ernst Schäfer nach dem Krieg Gerechtigkeit widerfahren: "Warum sollte Polizeimajor Schäfer nicht mehr in einer leitenden Stellung im Polizeidienst mit Bewährungsfrist Verwendung finden, wenn einwandfrei nachgewiesen, dass Schäfer vielen Juden und Polen durch sein vorbildliches Verhalten das Leben gerettet hat und dem Morden der Nazibanditen Einhalt gebot?" Die höchste Auszeichnung die Israel an Nichtjuden vergibt, heißt "Gerechter unter den Völkern". Sie ist für Menschen gedacht, die unter Einsatz ihres eigenen Lebens, das Leben verfolgter Juden gerettet haben. Ernst Schäfer möchte, dass für seinen Vater ein Baum in Yad Vashem, der Gedenkstätte an den Völkermord, gepflanzt wird. |