|
|||
16.4.2006
Stefan Gleser
Vor 60 Jahren:
Zum 120. Geburtstag von Ernst ThälmannDer "Ehren- und Gedenktag für die Opfer des Faschismus" und die "Ernst-Thälmann-Straße" in KaiserslauternAm 10. März 1946 fand ein "Ehren- und Gedenktag für die Opfer des Faschismus in Kaiserslautern" statt. Am Vormittag wurden die Luitpoldstraße in "Rudolf-Breitscheid-Straße" und die Wittelsbacher Straße in "Ernst-Thälmann-Straße" umbenannt. Dem Aufruf zur Massenkundgebung in der Fruchthalle folgten über 3.000 Bürgerinnen und Bürger.Anlässlich dieser Straßenbenennung und anlässlich seines 120. Geburtstags erinnern wir an den KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann, geboren am 16. April 1886 in Hamburg, ermordet am 18. August 1944 im Konzentrationslager Buchenwald.So viele Jahre Kerker und so viel Anteilnahme am Schicksal eines Anderen! "Beim Durchlesen Deiner Zeilen habe ich den Wunsch gehabt, Deine Stimme zu hören, Dein Wesen zu fühlen, Deinen Charakter zu erspüren." "Dies ist eine sehr schwierige Aufgabe", fährt der Verfasser fort, "die Talent und emsige Vorstudien voraussetzen." Ein Kennzeichen, um den Menschen zu charakterisieren, ist seine Ausdrucksweise. "Der Stil ist der Mensch", sagt der französische Naturforscher Georges Buffon. Ernst Thälmann beschreibt seinen Stil, seinen Charakter als "politisch und bildhaft, hart und rauh, aber doch von innigster Liebe und großer Wärme und wahrheitsgemäß." In einem anderen Kassiber, auch vom Beginn des Jahres 1944, bezieht er sich auf Goethes Torquato Tasso, um einen Menschen darzustellen: "Es bildet sich ein Talent in der Stille, sich ein Charakter in dem Strom der Welt." Thälmann beruft sich oft auf die Klassiker. Es soll seinen Leidensgefährten und Mitgefangenen bestärken und trösten. Wohl im Sinne von "Höre mal zu, das sage nicht nur ich, das sagen auch unsere Größten." "Es bildet sich ein Talent in der Stille, sich ein Charakter in dem Strom der Welt." Darin sammelt sich Thälmanns Leben. Er war nie "weltflüchtig", lernte als Seemann fremde Menschen und Länder kennen, diente seiner Klasse eher als Redner auf dem Markt denn als Gelehrter in der Stube, bat auf Tribünen in Hamburg, Paris und Moskau, Brüder möchten nicht auf Brüder schießen. So quälten und quälen 11 Jahre Einzelhaft. Die beschränken den ehemals Handelnden auf Beobachtung, verurteilen zur Tatenlosigkeit, trennen eben vom "Strom der Welt". So ausführlich wird Thälmann bewusst nicht. Er hüllt seinen Schmerz in ein Zitat. Er bürdet dem Empfänger kein fremdes Leid auf. * Die "Pfälzische Volkszeitung" berichtet am 12.3.1946: Feierliche Straßenumbennung Vertreter der Stadt Kaiserslautern, eine Delegation der Opfer des Faschismus sowie zahlreiche Bürger unserer Stadt hatten sich Sonntag vormittag zu einem feierlichen Akt am Pfaffbad eingefunden. Es galt die Umbenennung der Luitpoldstraße in Dr.-Rudolf-Breitscheid-Straße und die der Wittelsbacher Straße in Ernst-Thälmann-Straße vorzunehmen. Nach einigen einleitenden Ausführungen des Herrn Bürgermeisters Lippold sprach Ch. M. Kiesel Worte ehrenden Gedenkens für den von den Hitler-Faschisten ermordeten Dr. Breitscheid. Dann wurde zum Zeichen der brüderlichen Verbundenheit ein Kranz der Ortsgruppe Kaiserslautern der Kommunistischen Partei unter dem neuen Straßenschild der Dr.-Rudolf-Breitscheid-Straße angebracht. Zum Gedenken des am gleichen Tage von den Hitler-Faschisten ermordeten Ernst Thälmann ergriff A. Freiberg das Wort. Hier waren es die Sozialdemokraten, die ihre Verbundenheit durch Überreichung eines Kranzes der Ortsgruppe Kaiserslautern der SPD, der unter dem Straßenschild der neuen Ernst-Thälmann-Straße angebracht wurde, zum Ausdruck brachten. Auch die Ehrenwache, die während des ganzen Sonntags an den beiden Gedenkschildern gestellt wurde, entsprach dem Geiste der beiden großen Toten. Sozialdemokraten hielten die Ehrenwache an der Gedenktafel für Ernst-Thälmann und Kommunisten hielten die Ehrenwache an der Gedenktafel für Dr. Rudolf Breitscheid. * Am Abend des gleichen Tages fand in der Fruchthalle eine Feier mit über 3000 Teilnehmern statt. Zehn Kaiserslauterer Mitbürger, die die Nazis ermordeten, wurden geehrt: Otto Michel, Georg Steiner, Joh. Weichel, Alb. Schlachter, Frau Korn, Herr Herze, Hannelore Herze, Hugo und Johanna Herze, geb. Lazarus und Dr. Julius Wertheimer. Augenzeugen traten auf: F. Seitz, katholischer Seelsorger. Weil er mit seinen aus Polen verschleppten Glaubensbrüdern die Messe las: 5 Jahre Konzentrationslager Dachau. Berichtet von den Hungertransporten. Oskar Brill, Stadtrat. Weil er schon 1928 in der Fruchthalle, als die Nazis zum erstenmal in Kaiserslautern öffentlich auftraten, vor dem Sturz in die Barbarei warnte: 11 Jahre Zuchthaus und Konzentrationslager. Charles Marie Kiesel, Leiter der Betreuungsstelle für die Opfer des Faschismus; später Direktor der Landesgewerbeanstalt, der heutigen Pfalzgalerie. Weil er als Graphiker 1930 in Mannheim seine Kunst in den Dienst der Freiheit stellte: 12 Jahre Flucht und Exil. Berichtet vom Kampf deutscher Flüchtlinge mit der Waffe in der Hand in Spanien und Frankreich. Philipp Mees, Gewerkschafter. Weil er die Interessen seiner Kollegen im Bahnausbesserungswerk vertrat: 6 Jahre Zuchthaus und Konzentrationslager. Berichtet von den Verbrennungsöfen in Dachau. * Wenn die US-Amerikaner jemanden wegen Kriegsverbrechen zu 20 Jahren Haft verurteilen, was macht dann die nordrhein-westfälische Landesregierung mit ihm? Sie übernimmt ihn als Religionslehrer ins Beamtenverhältnis. So geschehen mit dem SS-Mann Wolfgang Otto. Marian Zgoda, polnischer Häftling im Konzentrationslager Buchenwald,
beobachtet in der Nacht vom 18. zum 19. August 1944 unter Lebensgefahr: Am 15. Mai 1986 (!) wurde Wolfgang Otto zu vier Jahren Haft wegen Beihilfe zum Mord an Ernst Thälmann verurteilt. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf. Wolfgang Otto wurde in letzter Instanz freigesprochen. * "Warum halten die Massen so still? In einem Brief von Anfang Januar 1941 seziert Thälmann, seit 8 Jahren von der Öffentlichkeit abgeschnitten, die Propaganda der Nazis: "Die im Dezember 1940 von unserem Freund (der uns leider inzwischen verlassen hat) gefallene Bemerkung bezüglich der Stimmung in der kürzlich abgehaltenen Hitler-Versammlung in den Borsig-Werken in Berlin: 'Ich kann die Arbeiter nicht begreifen, sie schreien und klatschen Hitler zu, und wenn man sie sonst hört, schimpfen und klagen sie' und seine bedeutsame an die Besucherin gerichtete Frage: 'Was denken Sie darüber, wie das eigentlich zu erklären ist?' erfordert, hinsichtlich der abgegebenen Antwort, eine weitaus ernstere Behandlung. Die Antwort lautete sinngemäß: 'Auf Grund des gesteigerten Druckes von oben und aus Angst vor der Härte des Regimes, schrecken die Leute davor zurück, sich offen zu äußern und wagen es nicht, sich gegen das Regime aufzubäumen, wenn sie auch sonst fast alle murren, kritisieren und schimpfen'. Diese einfache Antwort - wenn auch in dem erwähnten Punkte nicht unrichtig - ist keinesfalls ausreichend zur Klärung der vielseitigen Frage." Die Politik der Nazis verfahre zweigleisig. Kerker und Galgen für die "Aufgeklärten"; Fluchten aus der Tretmühle des Alltags zu Führerkult, Nationalwahn und "propagandistisch ausgeschmückten" Veranstaltungen mit fast "bezaubernder Wirkung" für die Unentschlossenen, die Schwankenden. Ich übersetze Thälmanns Analyse von der Menge auf den Einzelnen, von den Aufmärschen der Nazis zur zeitgenössischen Bewusstseinsindustrie: Wenn ich einen Lottoschein ausfülle, in der Kneipe hocke oder mir eine Unterhaltungssendung im Fernsehen anschaue, dann bin ich, ich verwende jetzt Thälmanns Worte, hypnotisiert, in einen Rausch versetzt, werde über das Alltäglich-Drückende hinausgehoben, das allgemein Kritische und Unzufriedene kommt weniger zur Geltung, vergesse Entbehrungen und Sorgen, werde vom Nachdenken über meine wahren Interessen abgehalten und bilde mir für kurze Zeit ein, Großes stünde vor meiner Zukunft. Ferner, was Thomas Mann später als "Lustmördertum an der Wahrheit" bezeichnen sollte: Die Nazis maskieren sich als "Sozialisten". Angriffskrieg und Völkermord bekommen die Massen, so Thälmann, in "getarnt sozialistischer und verbrämt antikapitalistischer Form zu hören." * Ernst Thälmann zieht in seinen letzten Briefen politische Bilanz: Aber, so an seinen Mithäftling, ihr Gewissen sei unbelastet von "Kriegsverbrechen, imperialistischer Räuberpolitik, faschistischen Rassentheorien, Rosenbergschen Philosophien ...". Es war seine Partei, die nach den Pogromen 1938 erklärte: Aus einer Rede in Berlin 1927: Aus der Pfalz notiert die Gestapo: ....und in Spanien trägt das deutsche Bataillon seinen Namen. "In dem Kampf zwischen Kultur und Barbarei ist Ernst Thälmann", so der Schriftsteller Martin Andersen Nexö, "das stärkste Symbol der menschlichen Kräfte geworden. Keinem zweiten Opfer der Bestialität klopfen die Herzen der breiten Schichten derart mit Liebe entgegen wie ihm ..." * 1958 forderten CDU-Stadträte, Ernst-Thälmann solle aus dem öffentlichen Gedächtnis gelöscht werden. Die nach ihm benannte Straße solle in Zukunft den Namen Dr. Kimmel, einem ehemaligen Chefarzt des Krankenhauses, tragen. Die sozialdemokratische "Freiheit" merkte dazu an: Philipp Mees begründete für die Sozialdemokratie die
Ablehnung: Gretel Brill, die Witwe Oskar Brills und Karl Huber, Widerstandskämpfer, forderten die Stadtratsmitglieder zu bedenken, dass Thälmann nicht als Kommunist, sondern als Opfer des Faschismus geehrt worden wäre. Zudem würde es die Weltöffentlichkeit als ein Zeichen "fortschreitender Reaktion" werten. Drei Jahre später brach die SPD, wie es heute heißt, mal wieder verkrustete linke Denktabus auf: die Ernst-Thälmann-Straße sollte jetzt in Albert-Schweitzer-Straße umbenannt werden. Dagegen protestierten Kaiserslauterer Bürger: Sie unterrichteten Albert Schweitzer von dem geplanten Vorhaben. Aus Lambaréné antwortete man: Später verwahrte sich Schweitzer ausdrücklich noch einmal gegen die
Umbenennung: Albert Schweitzer besiegte Fieber und Seuchen im fernen Afrika; seine Bemühungen, die Lautrer SPD vom blindwütigem Antikommunismus zu heilen, scheiterten. Mit der brüderlichen Ehrenwache war's vorbei. 1961 wurde auf Antrag der SPD-Fraktion der Name Ernst Thälmanns getilgt. * Rückkehr ins Jahr 1944. Für Thälmann verschmelzen Weltlauf und privates Schicksal. Die Sowjetarmeen werden weiter vordringen und die Nazis werden nicht davor zurückschrecken - er spricht von sich in der dritten Person - "Thälmann vorzeitig beiseite zu schaffen oder aber für immer zu erledigen ..." Er denkt nicht an seine bevorstehende Hinrichtung. Nur den Genossen in der Zelle ermutigen. Versagen ihm dabei die Worte, eilt der sterbende Faust zu Hilfe: "Ja! diesem Sinne bin ich ganz ergeben, das ist der Weisheit letzter Schluß: Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muß." So endet einer der letzten Kassiber Ernst Thälmanns. Wem die Briefe nicht so gefallen, wer sie nicht als schön genug empfindet: Die Pistole des Wärters war an seiner Seite. Goethe und Schiller haben in den "Xenien" aufgeschrieben, wofür ihr Bewunderer Ernst Thälmann kämpfte, litt und starb. Würde des Menschen Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen; Stefan Gleser |