Wir über uns  


Rundbrief 2/2000
November 2000
Artikel 5

Nachwuchs garantiert

Rheinland-Pfalz ist eine Hochburg der Neonazis. Auch die Ludwigshafener Täter hatten Kontakte zur rechtsextremen Szene. Auf Antifa-Gruppen aus Rheinland-Pfalz wirkt die allgemeine Verwunderung lächerlich. Bestenfalls durch "Unwissen und Verdrängung" sei die offizielle und mediale Überraschung zu erklären, die auf den Brandanschlag auf das Ludwigshafener Asylbewerberheim folgte.

Tatsächlich gilt das Bundesland und besonders die Region Mannheim-Ludwigshafen schon seit mehreren Jahren als eine der westdeutschen Gegenden, in denen rechtsextreme Organisationen und Skinheadgruppierungen ungestört Nachwuchspflege betreiben.

Einer der führenden Neonazis der Region, der momentan noch inhaftierte Naziskinhead Christian Hehl, rühmte sich schon zu Jahresbeginn, dass "die Bewegung" in Rheinland-Pfalz keine Nachwuchssorgen habe.

Wozu dieser Nachwuchs fähig ist, macht der Ludwigshafener Anschlag deutlich, bei dem drei kosovo-albanische Kinder verletzt wurden: Die vier Täter - zwischen 14 und 18 Jahre alt - hatten sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft Frankenthal am frühen Abend des 14. Juli in der Wohnung des 18-jährigen getroffen. Dabei sei der Plan entworfen worden, die Wirkung von Molotow-Cocktails auszuprobieren. Auch das Ziel fand sich schnell: Die Flüchtlingsunterkunft im Stadtteil Oppau. Jeder der vier Täter hatte nach eigenen Angaben einen Molotow-Cocktail in der Hand, der auf Kommando des Gruppenältesten auf die Fenster des Heimes geworfen werden sollte. Es war wohl purer Zufall, dass nur einer der Brandsätze das Fenster der kosovo-albanischen Familie durchschlug, die zu diesem Zeitpunkt mit Freunden Abschied feierte.

Gegenüber den Beamten, die die Täter innerhalb von vier Tagen ermittelten, wollte bisher keiner der Jugendlichen einräumen, das Fenster tatsächlich getroffen zu haben. Andreas B., Christian Sch., Michael V. und ihr vierter Mittäter sind trotz ihres Alters in der Szene nicht unbekannt. Zwei von ihnen sind wegen Sachbeschädigung und Körperverletzung polizeilich erfasst. So verwundert es denn auch nicht, dass selbst Polizei und Staatsanwaltschaft "Fremdenhass und Ausländer-feindlichkeit" als Tatmotiv nannten.

Auch zu rechtsextremen Organisationen bestanden früh Kontakte: Während Staatsanwaltschaft und Polizei sich weigern, konkrete Organisationsangaben zu machen, berichtete die Rhein-Neckar-Zeitung, einer der Täter habe schon mit 13 Jahren dem "Stahlhelm - Kampfbund für Europa e.V." nahe gestanden.

Und über die Vorstellungen dieses Vereins besteht kein Zweifel. "Das oberste Ziel des Stahlhelms ist die Wiederherstellung des Deutschen Reichs in seinen historischen Grenzen", erklärte der 1996 zum Bundesgeschäftsführer gewählte Günter Drückhammer aus Niedersachsen.

Während der Bundesverfassungsschutz die Gruppierung seit 1975 nicht mehr erwähnt, da der Verein "bundesweit unbedeutend" sei, berichtet das Antifaschistische Infoblatt in der Ausgabe 50 von bundesweit funktionierenden Strukturen für Wehrsportübungen, die der Verein auf seinem zentralen Schulungszentrum in Jork Klein Hove in Niedersachsen durchgeführt haben soll.

Ein regionaler Schwerpunkt findet sich in Rheinland-Pfalz. So riefen Nachbarn des vom zweiten Bundesführer Hans-Jürgen Hertlein betriebenen Stahlhelmheims am Potzberg bei Altenglan in der Pfalz die Polizei, nachdem in der diesjährigen Silvesternacht auf dem Gelände Schüsse gefallen waren. Und der Saarpfälzer Anti-Antifa-Funktionär Stefan Michael Bar aus der Region Mannheim-Ludwigshafen kaufte 1995 von einem der Waffenhändler aus der Stahlhelm-Truppe für 600 Mark eine Maschinenpistole.

Ein Rückblick auf die Entwicklung der rheinland-pfälzischen Neonazistrukturen im letzten Jahr macht es deutlich: Hier "greifen alle Strukturen - von Blood&Honour über die Freien Kameradschaften, insbesondere die Karlsruher Kameradschaft, bis hin zu den Resten der NPD-Jugendorganisation JN - ineinander", so ein Sprecher der Antifaschistischen Initiative Heidelberg.

In der Vergangenheit hatte es mehrfach Steinwürfe auf die Unterkunft in Oppau gegeben. Im Juni war in Worms ein Weinfest von einer Gruppe Naziskinheads angegriffen worden. Im gleichen Zeitraum wurde dort der Jüdische Friedhof geschändet - der vorerst letzte in einer Kette von Schändungen jüdischer Friedhöfe in der Region in den letzten zwölf Monaten.

Selbst der Verfassungsschutz zählt in der Region fünf verschiedene Neonazifanzines. Das bundesweit bekannteste und aggressivste ist der von Stefan Michael Bar herausgegebene Reichsruf. Im Januar 1999 wurde der 24jährige Bar unter anderem deshalb zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Nachdem er zwei Drittel der Strafe verbüßt hat, ist Bar inzwischen wieder auf freiem Fuß.

Bar, zu dessen Vorbildern der Anti-Antifa-Aktivist und Polizistenmörder Kay Diesner zählt, gehört zum Umfeld der Nationalen Volksfront (NVF). Bei polizeilichen Ermittlungen vor zwei Jahren wurden bei Mitgliedern der Gruppierung u.a. sieben Maschinenpistolen, elf Gewehre, Munition, Sprengstoff und Minen gefunden. Dass diese Waffen zum Einsatz kommen, steht außer Zweifel. So wurde eine der gefundenen Maschinenpistolen bei einem Anschlag auf einen türkischen Imbiss im Jahr 1996 in Neustadt verwendet.

Enger Weggefährte von Bar ist der 16jährige Ronnie Reimer aus Schifferstadt, der als einer der Herausgeber der im Dezember bundesweit verschickten Anti-Antifa-Liste "Wehrwolf" gilt. Auch Reimer bevorzugt offenbar die unter dem Label vom Weißen Arischen Widerstand ausgegebene Parole von der "Propaganda der Tat". Er soll im Mai dieses Jahres an einem gescheiterten Brandanschlag auf das Jugendzentrum Mannheim beteiligt gewesen sein.

Auch die NPD versucht, sich die rechte Jugendsubkultur vor Ort zu Nutze zu machen. So marschierten rund 300 Neonazis am 1. Mai in Ludwigshafen auf. Damals habe die NPD angekündigt, erklärte der grüne Ludwigshafener Landtagsabgeordnete Bernhard Braun, die Stadt zu einem ihrer Hauptaktionsgebiete in Rheinland-Pfalz zu machen.

Dennoch: Herbert Klein vom rheinland-pfälzischen Landeskriminalamt ist sich auch noch nach dem Ludwigshafener Brandanschlag sicher: "Wir haben die Szene im Griff" -
bis zum nächsten Brandanschlag.
Quelle: Jungle World vom 26.7.2000

Rückwärts Übersicht Vorwärts

[Seitenanfang]  [Homepage]  [eMail]